taz.de: „Das Erstaunlichste an den Bildern aus Madrid scheint mir die Rückkehr der Versammlungen, der Räte. Und man hat den Eindruck, dass es dabei sehr diszipliniert zugeht.“
Seit dem 15. Mai 2011 findet in Spanien ein inflationäres Wachstum an Gesprächen statt. Kein Wunder, denn es gibt viele Dinge, über die man sich dort empören und austauschen kann: Korrupte Politiker und zockende Banker. So die vereinfachte Version, die unsere deutschen Leitmedien kurz vermelden.
Wenn man jedoch genauer hinsieht, stellt man fest, daß da nicht nur einfach ein Pulk Menschen grölend durch die Straßen zieht oder auf der Puerta del Sol in Madrid einige Obdachlose nächtigen, weil sie sonst nichts Besseres zu tun haben.
Nein, es passiert etwas (für unsere Zeiten) völlig Neues.
Es hat sich eine neue Kultur gebildet.
Eine Gesprächskultur.
Auf der Puerta del Sol, einem zentralen Platz in Madrid, campierten einen Monat lang Menschen in Zelten. Sie nannten es „Acampada Sol“. Eine Stadt in der Stadt. Perfekt durchorganisiert mit Bibliothek, Krabbelstube, Essensausgabe und medizinischer Versorgung.
Und in dieser Stadt fanden unzählig viele Gespräche statt. Gespräche, an denen teils hunderte Menschen gleichzeitig teilnahmen und die eine ausgeklügelte Organisation benötigten.
Dazu ist im Acampada Sol ein achtseitiger Leitfaden zur Gesprächsführung mit vielen Menschen entstanden:
Quick Guide on People’s Assemblies
Eine deutsche Version ist hier zu finden: quickguide_volksversammlung_de11.pdf
Hier nur ein paar der Kernpunkte, da diese Anleitung sehr umfangreich und komplex ist:
- Eine Versammlung kann dazu dienen zu informieren, über ein Thema zu reflektieren oder zu einem Konsens zu kommen.
- Bei einer herkömmlichen Debatte ist das Ziel, den anderen von seinem Standpunkt zu überreden oder zu überzeugen. Hier jedoch geht es darum, aus zwei oder mehreren Sichtweisen eine neue zu bilden, die allgemeine Zustimmung findet. Es geht um common sense und Konsens.
- Durch einfache Gesten (Zustimmung, Ablehnung, „komm zum Punkt!“,…) wird über große Distanzen kommuniziert. Der Sprecher erhält schnelle Rückmeldung, die nicht akustisch stört. Es wird dadurch ein zweiter Kommunikationskanal geöffnet.
Es kommen also einerseits technische Methoden für Gruppenprozesse zum Einsatz, die auch an anderer Stelle schon beschrieben sind, andererseits scheinen die Gesprächsteilnehmer eine geistige Haltung einzunehmen, die besonders das Miteinander hervorhebt. Es wird zugehört und zusammen gedacht („collective thinking“), um zu Konsens-Ergebnissen zu gelangen, an denen viele Menschen beteiligt sind.
Konkurrenz war gestern – heute wird kooperiert.
Acampada Leipzig schreibt:
„We are all learning to listen one to each other as equals, and this is invaluable.“
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