story 15M

Hier finden sie einen Einblick in den Start der 15M Bewegung in Spanien, eine Dokumentation der vier Wochen vom 15. Mai bis 12. Juni 2011, in denen in Spanien Protestcamps stattfanden.Neben der Story 15M dieser ersten Wochen haben wir auch einige Artikel zu bestimmten Themen versammelt:

Hintergründe
Gespräche
Europäische Revolution
Medienkritik

Und hier die „Story“ der ersten vier Wochen, die wir mit den Ereignissen immer weiter geschrieben hatten – jeweils mit aktuellen Verweisen auf Texte und Bilder, die tiefer eintauchen lassen in die „revolutionären“ Ereignisse, die niemand erwartet hatte…
Am Sonntag, den 15. Mai 2011, eine Woche vor den Regional- und Kommunalwahlen in Spanien, begann eine „kleine Revolution„, die von  der Bewegung Democracia Real Ya („Echte Demokratie Jetzt“) ausging und seitdem auch Movimiento 15-M („Bewegung 15. Mai“) genannt wird. Initiator war Fabio Gadera, ein 26-jähriger arbeitsloser Anwalt, der Mitte Februar eine Gruppe im sozialen Netzwerk Facebook startete, auf deren Internetseite bis Ende Mai über 360.000 mal der „gefällt mir“-button gedrückt wurde. Ende März hat er dann gemeinsam mit 15 jungen Menschen formell ein Kollektiv gegründet, von denen inzwischen auch der 23-jährige Student Pablo Padilla, der als Sprecher auftritt, und der Webdesigner Manuel Jesús Román bekannt geworden sind. (Wir selbst sind zuerst ein paar Tage nach der Sonntagsdemonstration durch ein Youtube-Video auf die Bewegung aufmerksam geworden, und haben seitdem sehen können, wie die Menschen in Spanien gerade ihre Augen öffnen und sich zeigen.)
Auch für die Initiatoren überraschend, fanden sich am Demonstrationssonntag in rund 50 Orten Spaniens 130.000 vor allem Jugendliche und Studenten zusammen und riefen „Wähle sie nicht!“ und „Wir sind keine Ware in den Händen von Politikern und Bankern“. Ungefähr 100 Menschen haben dann spontan in Madrid auf dem Platz Puerta del Sol übernachtet, der in der Nacht von der Polizei geräumt wurde. Ab dem nächsten Tag kamen mehr Menschen auf den Platz und eröffneten unter dem Motto „Nehmt Euch den Platz“ ein Zeltlager: „Yes we camp!“
Die Bilder und die Atmosphäre auf diesem Platz, die dann in den nächsten Tagen entstanden, erinnerten sehr an das, was einige Monate vorher in Kairo auf dem Tahrirplatz geschehen war. Ist also der arabische Frühling in Europa angekommen?
Die Wut sitzt tief bei den Jugendlichen, sie sehen ihre Anliegen im 2-Parteiensytem Spaniens nicht repräsentiert und beklagen Arbeitslosigkeit, Korruption und das Wahlsystem. Sie nennen sich „Los Indignados“, „die Empörten“ und waren plötzlich eine Bewegung, die in ganz Spanien Fuß fasste. Viele Beobachter waren überrascht, dass es einige Tage dauerte, bis von der sogenannten #spanishrevolution auch in den Massenmedien berichtet wurde. Es waren anfänglich vor allem die neuen Medien und Blogger wie der Deutsch-Spanier Rafael Eduardo Wefers Verástegui, die in den ersten Tagen die entstandene Informationslücke füllten. Er berichtete regelmäßig und wurde auch von Radiostationen angefragt. Auch der Blogger, Fotograf und Zeitungsreporter Reiner Wandler berichtete zeitnah aus Madrid über die „Spanische Revolution“. Einen interessanten  Live-Ticker über die Ereignisse konnte man im Netz für einige Tage vom Hamburger Newsportal breakfastpaper lesen und der Weblog spreeblick veröffentliche als erstes das Manifest der spanischen Bewegung auf deutsch (hier der Anfang):

“Wir sind normale Menschen. Wir sind wie du: Menschen, die jeden Morgen aufstehen, um studieren zu gehen, zur Arbeit zu gehen oder einen Job zu finden, Menschen mit Familien und Freunden. Menschen, die jeden Tag hart arbeiten, um denjenigen die uns umgeben eine bessere Zukunft zu bieten.
Einige von uns bezeichnen sich als aufklärerisch, andere als konservativ. Manche von uns sind gläubig, andere wiederum nicht. Einige von uns folgen klar definierten Ideologien, manche unter uns sind unpolitisch, aber wir sind alle besorgt und wütend angesichts der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Perspektive, die sich uns um uns herum präsentiert: die Korruption unter Politikern, Geschäftsleuten und Bankern macht uns hilf- als auch sprachlos.“

Die Zeltstadt und die Massendemonstrationen sollten zuerst bis zum Wahlsonntag, den  22.05.2011 weitergehen, aber die Wahlbehörde hatte am Freitag vorher sämtliche für das Wochenende angekündigten Demontrationen verboten, weil sie den Ablauf der Wahlen gefährden und Wähler beeinflussen könnten.  Aber die Demonstanten wollten bleiben, im Notfall auch passiven Widerstand leisten. Ein Sprecher des Innenministeriums teilte am Freitagabend noch mit, die Polizei werde die Proteste dulden, solange sie friedlich verliefen und die öffentliche Ordnung nichtstören. Und tatsächlich haben sich in Madrid 20.000 Menschen dem Verbot widersetzt und den beginnenden „Tag des Nachdenkens“, den das spanische Wahlgesetz vorsieht, in Madrid um 0:00 Uhr mit einem „stummen Schrei“ begonnen.
Und sie blieben am Wahltag, welche der im Land regierenden sozialistischen Partei ein Wahldebakel bescherte – und blieben auch darüber hinaus: sie beschlossen am Wahltag ihre Demonstrationen im ganzen Land fortzusetzen. Und obwohl die Behörden die Räumung der Zeltlager angekündigt hatten, gingen die »acampadas«, die Protestcamps in mehr als einem Dutzend Städten weiter. »Wenn ihr uns nicht mehr träumen lasst, hören wir einfach auf zu schlafen!« bzw. „…lassen wir euch nicht schlafen“ stand auf Plakaten.
Auch über Spanien hinaus gingen Jugendliche auf die Straßen, und am Sonntag nach der Wahl wurde auf Facebook von einigen Aktivisten bereits die „Europäische Revolution“ ausgerufen. In Madrid wuchs und organisierte sich eine „ganz normale Stadt“ auf dem Puerta del Sol in Madrid und an 60 Orten gab es weitere Camps. Beobachter waren in diesem „historischen Moment“ fasziniert von der Ernsthaftigkeit und dem „unmöglichen Realismus“ der Menschen auf den Plätzen.

In der Zwischenzeit fühlten sich auch Deutsche von der besonderen Athmosphäre angezogen, wie die Filmemacher vom Sender Freies Neukölln, die sehr eindrückliche Filme in Barcelona, Valencia, Madrid, Zaragoza, Logrono und Pamplona drehten. Und der Virus dieser friedlichen, neuen „Revolution“ sprang auch über Spanien hinaus. Am Mittwoch, den 25. Mai demonstrierten in Griechenland 50.000 Menschen auf dem Syntagma Platz in Athen; und wieder waren die Initiatoren Facebook-Aktivisten.

Es wurde schon vermutet, das die „Spanische Revolution“ nun bald „schlapp machen“ könnte, und am Freitag begann auch die „Empörung über Empörte“ anzuwachsen, denn auch die Geschäfte auf dem Platz in Madrid beschwerten sich, da sie große Umsatzumbußen erlitten, und es kamen Klagen über hygienische Zustände auf den Plätzen auf.
Am Freitag, den 29. Mai wurde dann in Barcelona ein Protest-Camp, das 200 Menschen zwölf Tage lang auf dem zentralen Platz Plaza de Cataluña aufgeschlagen hatten, durch die Polizei unter Einsatz von Schlagstöcken und Gummigeschossen gewaltsam geräumt. Als Begründung wurde angegeben, das der Platz gereinigt und gefährliche Gegenstände entfernt werden sollten, weil der Platz am Samstag eventuell für eine Siegesfeier nach einem Fußballspiel des FC Barcelona gegen Manchester United benötigt würde. Bei dieser Räumung wurden mehr als 120 Personen verletzt – die im Fernsehen und im Internet live zu sehen waren – und umgehend gab es auch viele Videos der schweren Zusammenstöße auf youtube zu sehen. Nachdem der Platz geräumt war, strömten die Empörten zurück und wurden unterstützt von vielen tausend Bewohnern. Demonstranten stellten sich Reinigungsfahrzeugen in den Weg und riefen „Wir haben keine Angst“ und verteidigten ihre Zeltlager. „No nos vamos“- „Wir gehen hier nicht weg“. So sind sie geblieben in vielen Städten des Landes, und deutsche Beobachter der Ereignisse staunen über das, was sich da an neuer politischer Kraft mit „sanfter Wut“ in Spanien bildet und sprechen von der schönsten Generation Spaniens und reflektieren über digitale Empörung und analogen Widerstand
Aber nicht nur in Spanien, auch in Athen haben am Sonntag, den 29. Mai wieder viele Menschen „ihren Platz genommen“ zum Demonstrieren – die Spanier als Vorbild. Und auch in Paris gab es auf dem Place de Bastille Demonstrationen, die von der Polizei gewaltsam aufgelöst wurden. Für diesen 29. Mai wurde aber auch darüber hinaus an vielen Orten in Europa zu Solidaritäts-Demonstrationen aufgerufen. Die Erwartungen und Hoffnungen auf eine #europeanrevolution oder #worldrevolution war bei den engagierten Organisatoren im sozialen Netzwerk von Facebook wohl groß – die realen Ergebnisse jedoch eher überschaubar, wie ein Blogger schrieb.

foto: julio albarran

foto: julio albarran

Es stellte sich nun die Frage, wie lange die Protest-Camps an den verschiedenen Orten noch weitergehen, insbesondere angesichts wohl weiter zunehmender Klagen von Händlern und Räumungsdrohungen von staatlicher Seite. Aber die Protest-Camps als Symbol des Protests sollen vorerst erhalten bleiben, und für den 15. Oktober 2011 wurde aus Spanien bereits zur europaweiten Demonstration aufgerufen.

Am Wochenende des 29. Mai und also an vielen Plätzen in Spanien überlegt, wie es weiter gehen könne und Wege gesucht, die Bewegung dezentraler zu machen. In Madrid wurde m auf einer Vollversammlung von mehrenden tausend Menschen am Sonntag entschieden, weiter zu campieren, bis sich die „Stadtteilversammlungen als neue Struktur der Bewegung“ etabliert hätten. So gingen die Protest-Camps in Spanien in der kommenden Woche weiter, und auch in Athen hatte eine „schweigende Mehrheit“ einen Platz für Ihre Empörung gefunden – am 5. Juni waren es wieder mehr als 50.000 Menschen, die gegen die Sparmaßnahmen demonstrierten.

Inzwischen begleiten auch die deutschsprachigen Leitmedien die Ereignisse und schreiben darüber, was Spaniens Jugend auf die Straße treibt (und welche Rolle die neuen Medien dabei spielen), das in Frankreich und in Spanien die Jugend die Bastille stürmt, und dass es sich dabei wohl um eine Revolution der radikalen Träumer handelt. Es werden Fragen gestellt wie „Wohin mit der Wut?“, vom Aufstand im Sitzen gesprochen und der Aufbruch der Vielen als Ausweg auch für uns beschrieben.

“Die Bewegung lebt weiter”: Das Zeltlager auf der Puerta del Sol soll geräumt werden, dies war der Tenor der Ereignisse seit dem 5. Juni. Beobachter fingen an sich mehr für die Organisation der Menschen auf den Plätzen zu interessieren, wie sie nach Konsens suchen, zuhören, unterschiedliche Stimmen integrieren und um grundlegende Transformation ringen. Sie lebten echte Demokratie vor, entwickelten eine Basisdemokratie in Gebärdensprache und scheinen eine neue außerparlentarische Opposition zu bilden. In Spanien selbst genossen die Demonstranten auch viel Unterstützung. In der spanischen Zeitung El Pais war zu lesen, dass 66 % mit der 15M-Bewegung sympathisieren, 81% glauben, das sich die Menschen zurecht empören, und 90% meinen, dass sich die Parteien in Spanien verändern müssen.

Am Mittwoch, den 8. Juni hatte die Vollversammlung auf der Puerta del Sol in Madrid dann endlich einen Kompromiss erreicht über das weitere Vorgehen: Nach vier Wochen werden die Menschen der 15M-Bewegung am Sonntag, den 12. Juni das Camp im Rahmen einer “festlichen Großkundgebung” auflösen. Mit der Aufmerksamkeit auf Demonstrationen in Spanien, Griechenland, Frankreich und Italien kam auch immer mehr die Frage auf, ob sich diese neue außerparlamentarische Opposition, die „Echte Demokratrie jetzt“-Bewegung weiter auf Europa ausbreiten könnte: Ob also nach dem „arabischen Frühling“ wohl ein „europäischer Sommer“ komme? In jedem Fall ist inzwischen auch in der konservativen Presse in Deutschland das Thema angekommen: Hilflose Politiker verspielen die Zukunft Europa.
Am letzten Tag des Protest-Camps, dem 12. Juni 2011, berichtete auch die ARD: Demonstranten brechen Zelte im Herzen Madrids ab

/ Hier können Sie Aktuelles der Ereignisse nach dem 12. Juni 2011, Eindrücke aus dem Camp in Madrid und auch vertiefte Dokumentationen der besonderen Wochen sehen … /

10.07.2011

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